IMPRESSIONEN

SEA WALL

FILM// Impressionen: SEA WALL  // 15th June 2024 // by AMBER THEISEN 

Die Kurzfilmsammlung IMPRESSIONEN präsentiert diverse lokale Umgebungen, die uns innerhalb des Austauschs durch connecting ecosystems begegneten. Dabei handelt es sich um keinen Versuch der objektiven Dokumentation, sondern um eine Sichtbarmachung des persönlichen Archivs (und Blicks) des Teams.

Als wir das erste Mal in Jakarta landeten – es war Anfang November – brachten wir den ersten Regen der Saison mit: Dicke, schwere Tropfen prasselten schlagartig von den Wolken und füllten innerhalb von Minuten die Straßen knietief mit Wasser.

Jakarta wuchs seit der Unabhängigkeit von Indonesien 1945 schnell. Bereits nach 5 Jahren wohnten ungefähr 1.5 Millionen Menschen hier. Jetzt zählt die Mega City mehr als 11 Millionen Einwohner und deckt dabei eine Fläche von ca. 660 Quadratkilometern ab. Durch ihre Lage direkt an der Küste kämpft die Stadt jährlich mit Überflutungen und ist die am schnellsten sinkende Stadt der Welt. 

In den Berichten des Bandung Institut der Technologie wird die Prognose gestellt, dass über 95% Jakartas im Jahr 2050 untergegangen sein werden. Dabei ist der nördliche Teil der Stadt einem höheren Risiko ausgesetzt: Die Gebäude dort sind in den letzten zehn Jahren bereits 2.5 Meter gesunken und sacken jedes vergehende Jahr weitere 25 Zentimeter tiefer.

Der Grund für den untergehende Stadt scheint zunächst einfach erkennbar zu sein: Durch die Lage in einer niedrigen Schwemmebene mit 13 Flüssen in Kombination mit den steigenden Meeresspiegeln ist der Klimawandel die naheliegendste und einfachste Erklärung. Aber die Veränderung des Klimas ist nicht allein verantwortlich für das Gesamtbild. Die Stadt sinkt auch als Resultat ihrer kolonialen Vergangenheit verstetigt in der Architektur, die immer noch soziale Ungleichheiten und Reibungen in der Frischwasserbeschaffung erzeugt. 

Als die Niederlande Java im 16. Jahrhundert okkupierten, konstruierten sie mit “Batavia” (die Bezeichnung Jakartas unter Kolonialherrschaft) eine von Amsterdam inspirierte Hafenstadt durchdrungen von Kanälen zur leichteren Transportation von Gütern und der rassistischen Trennung der Einwohner*innen in zwei urbane Zentren (Ost und West). Während die Kanäle in den Niederlanden eine schlaue Lösung für die Logistik der Städte boten, bestanden sie in Indonesien nicht dem Test der Zeit im lokalen Klima. Durch die Luftfeuchtigkeit und der häufigen Erdbeben zerfielen die Konstruktionen im Verlauf der Zeit und verwandelten die Kanäle in stehende Gewässer, die zur Brutstätte epidemischer Krankheiten wurden. Um den sich schnell ausbreitenden Krankheiten zu entfliehen, zogen die niederländischen Kolonialherren in den Süden der Stadt, wo sie die Implementierung von Eisenrohren zur Frischwasserversorgung veranlassten und somit die kampungs (=traditionellen Dorfgemeinschaften) in Bakterien investierten Gewässern zurückließen. 

In ihrer Not für Trinkwasser zu minimalen Kosten wurde für die Einwohner*innen das Graben nach Grundwasser zur schnellen Lösung, die sich in Form von tausenden informellen Brunnen über die Stadt verbreitete. 

Auch heute besitzt über die Hälfte der Stadt keinen Zugang zu Leitungswasser und ist abhängig von illegaler Extraktion des Grundwassers durch öffentliche und private Unternehmen. 

Zusätzlich wurde die natürliche Schwemmlandschaft der Küstenregion nach und nach in den Betondschungel transformiert, der das Gesicht von Jakarta mittlerweile ausmacht und das Wiederauffüllen des Bodens in der Regenzeit blockiert. 

Die Extraktion des Grundwassers kombiniert mit der kontinuierlichen Asphaltierung der Oberfläche erhöht und beschleunigt die Gefahr der Landvernichtung enorm und ist sichtbar im stetigen Sinken der Stadt.

Um den Flutungen entgegenzuwirken, wurde 2014 das National Capital Integrated Coastal Development Programme ins Leben gerufen. Das Programm beinhaltet die Konstruktion von 17 künstlichen Inseln als zusätzliche Barriere zum Meer und den Bau einer 32 km langen Seemauer entlang der nördlichen Grenze der Stadt. 

Zurzeit sind die Satelliten-Inseln zwar noch nicht existent aber die Pläne für die über 40 Billion US Dollar teure Infrastruktur haben bereits niederländische Investoren und indonesische Immobilienriesen angezogen, um in eine luxuriöse Traumlandschaft gefüllt mit Yachthäfen, Golfplätzen und üppigen Eigentumswohnungen zu investieren. Dabei erhält die Formation der künstlichen Inseln den Namen Great Geruda nach dem nationalen Symbol eines gigantischen mythologischen Vogels, dem “Beschützer” des Volkes. 

Das Programm wurde über die Jahre bereits stark kritisiert, wobei jede Argumentation in derselben Feststellung resultierte: Die beschriebenen Maßnahmen selbst seien Symptome der problematischen Beziehung zur Umwelt, deren Konsequenzen sie zu lösen versuchen und nur in einer Vertiefung der Probleme resultieren können. 

Der Bau von künstlichen Inseln zerstört nicht nur den Lebensraum, auf dem aufgeschüttet wird, sondern braucht auch eine Menge Sand, der in der Regel vom Meeresgrund in der Umgebung abgebaut wird. Das Ministerium für Maritime Affairs and Fisheries (KKP) schätzte 2021 die benötigte Menge an Sand für das Land Reclamation Project ungefähr  auf 388.200.000 Kubikmeter, was zur Zerstörung des Meeresbodens der Küstenregion von Nordjava und der Dezimierung der dort heimischen Mangrovenwälder führe. Heute erhalten Mangrovenwälder eine gesteigerte Wertschätzung durch ihre Funktionen als natürliche Barriere zum Meer und als massive Karbonspeicher. Vor der Kolonialisierung und Industrialisierung Javas war die Nordküste der Insel flächendeckend mit Mangroven bewaldet und noch vor Beginn des staatlichen Land Reclamation Projects bedeckten die Pflanzen ca 1000 Hektar der Küstenregion von Nord Jakarta. Jetzt sind es nicht mehr als 25 Hektar, trotz vieler Bemühungen der Bewahrung dieses Lebensraums. 

Wir begegneten der Mauer auf einer Fahrt mit Freunden durch die verregnete Stadt. Sie brachten uns zu den kleinen Teilen der Mauer, die bereits gebaut wurden. Während der gesamten Autofahrt unterhielten wir uns über die sinkende Stadt und die staatlichen Gegenmaßnahmen mit ihren diversen sozialen, politischen und ökologischen Bedeutungen. Durch das lange und intensive Gespräch nahm die Mauer in meiner Vorstellung gigantische Ausmaße an. Sie war schwer und gewaltig, aus Asphalt natürlich und mit einer futuristischen Geradlinigkeit konstruiert. Vor Ort ergab sich ein anderes Bild: Die Umgebung war gefüllt mit kleinen, aus Wellblech zusammengezimmerten Wohnhütten. Der Geruch von Fisch lag und der Boden war durchsetzt und bedeckt mit auffällig viel Müll. Und da war die Mauer – nicht dick, nicht hoch – bedeckt von Graffiti blockierte sie bröckelnd die Sicht zum Meer. Man konnte mit ein wenig Mühe allein an ihr hochklettern und auf ihr spazieren. Und aus diesem neuen Blickwinkel war es klar sichtbar: Die Mauer wirkte schief – zerbrechlich sogar. Sie war gerade breit genug, dass das Spazierengehen zum Akt der Balance werden würde. Wir haben uns das nicht getraut auszuprobieren.

QUELLEN

https://www.re-thinkingthefuture.com/architectural-community/a9786-why-is-jakarta-sinking/